Einführung
Die beiden vorgestellten Netzwerke, betitelt Cyberpoetry für die englischen Texte, und Cyberpoesie für die deutch-sprachigen Arbeiten, die am 11.September 2007 als neues Portal erschienen, beinhalten Gedichte aus den Jahren von 1989 - 2007.
Viele der bis heute eingeführten poetische Genres betreten hier gemeinsam den Parcours, geben sich nicht nur ein Stelldichein, sondern treffen geheimnisvoll angeordnet auf-und-gegeneinander, heben sich heraus, stürzen sich ineinander, scheinen sich auszulöschen, um sich dann wieder gegenseitig hilfreich auf die Beine zu helfen. In Cyberpoesie folgen wir einem Mischwesen verbaler Ausdrucksformen. Hier kann jedes einzelne Genre als Mitspieler in einer dichterischen Installation zur Bewährung antreten. Sie alle dürfen die Energie altbewährter Zeilenordnung reflektieren oder aufgeben; jeder Prozess unterliegt kritischen Blicken. Überleben ist hier gleichbedeutend mit erfolgreich bestandener Prüfung innerhalb gestalterischer Strategien. Hier können sie ihren Anspruch und Ort verteidigen unter einer Vielzahl noch kaum artikulierter Sensibilitäten.
Die Genres wollen ihr Bestes geben, und sei es um des Abschieds willen. Wenn sie sich nicht lieben, hassen sie sich - als Teil vielversprechender Vergnügung. Dem Ende der Genres wird mit dem Aufleben von Inter-Genre-Poesie gegengesteuert, wenn nicht widersprochen. Ob es unseren Vorstellungen vom Einswerden aller Erscheinungen innerhalb der Natur dienen darf, das muss sich erweisen.
Wie verjüngt, möchte man fragen, nackt und hingabewillig nehmen sich einzelne Gedichtformen in einer Intergenre-Landschaft aus? Tritt man ihnen mit präzisen Forderungen zu nahe, erröten sie noch. Wenn ihre Identitäten sich überraschend berühren oder übermütig zum Austausch drängen, dann sind Kollisionen nicht auszuschließen. Das hier angestrebte System zieht seine Kinder, die Genres, aus ihren bislang horizontal sich verschränkenden Ebenen zusätzlich in die Turbulenzen ihrer vertikalen Potenzen. Während sie vielleicht noch hadern sich ihrer neuen Situation bewußt zu werden, sehen sie sich bereits reif für Transplantationen. Die Arten vermuten wenig zu opfern aber viel zu gewinnen im Miteinander oder in der Vereinigung oberhalb ihrer ehemaligen Positionierung in einem neu abzustimmenden poetisch-genetischem Code.
Die Jahrhunderte angelehnt gehaltene Tür zu Aberglaube und Metaphysik wird in Poly-Genre Manier entriegelt, wenn nicht ausgehebelt. Dabei entfällt der autoritär besetzte "Pförtnerposten" gleich welcher Obrigkeitszugehörigkeit, und die im ungewohnten Nachbarschaftsverhältnis sich anbietenden Sprachkörper stellen sich der Kritik in einer allen zugänglichen Freihandelszone am Netz.
Mittelöstliche und fernöstliche Versformen sehen sich eingeordnet; sie trauen sich im geregelten Nachbarschaftsverhältnis viel zu und fühlen Schutz, wo ihnen sonst Isolierung drohte. Von dort aus, wo sie jetzt für Bewegung innerhalb größerer Textkonzepte sorgen, stehen sie für Größe in poetischer Architektur auf kleinstem Raum.
Märchen und Fabel, Free Verse, Gasele, Haiku, Tanka und Renga, sowie Bericht, Lehrstück und Sketch meldeten sich zur Bearbeitung und wurden gebeten, ihre Hintergründigkeit noch unbegrenzter ausdehnen oder vereinigen zu dürfen. Schließlich spreizten sie sich nicht länger, so etwas wie ein Unding zu verkörpern und erlaubten aufzuzeichnen: "der Apfel empfängt die Schlange / wer etwas verspricht hat sich versprochen."
Reste von Angewöhntem, Übereinkünften und Aberglaube fanden sich nur noch kurz vor Mitternacht ein; im Licht des neuen Tages blieben sie im Versteck aus Furcht vor einer Zeile über ihnen, die fallen könnte wie ein Beil.
Durch Jahre sich erweiternde Einsichten in fremde Kulturen und ihre Sprachen führten dazu, dass poetische Einfälle sich entweder auf Deutsch oder Englisch dem Autor zur Verfügung stellten. Die Entscheidung für das eine oder andere Sprachmaterial fiel ohne Zutun, ohne einen kontrollierten Wahlvorgang des Autors. Die sprachlich / schriftsatzmäßig parallel entstandenen Arbeiten folgen von ihrer inneren Konstruktion her auswechelbar ähnlich dem Angebot an Zeichnungen und räumlichen Stahl-Installationen Reichhold`s aus den Jahren 1958 – 1990.
Wenn Arbeiten eines Autors in zwei Sprachen gleichzeitig auf den Plan treten, werfen sie offenbar mit Fragen nur so um sich:
a)
Zieht sich die eine Sprachwerkstatt zurück um der anderen die vielversprechendere Wirkung zu überlassen?
b)
Beide könnten Verwandtes sagen; aber der Bau unserer Augen und Ohren bis hin zur Verwandlung im Delta der Nervenbündel wünschen zu unterscheiden: Wohin verführt ein Gedicht die Leser in englischer Sprache, wohin in Deutsch? Wo ist Stolpern und Fallen über Texte schmerzhafter und deshalb hilfreicher? Durch welchen Tonfall wird die Leserin von ausgetragenen Gottheiten leichter entbunden? In welchen Blöcken dient Sprache erotischer Erregbarkeit unausweichlicher, bezwingender?
c)
Überraschung sei gegrüßt: Sprünge, Ungereimtheiten und Paradoxien, wie sie im Alltag erscheinen, schlängeln sich geplant durch diese Texte, vergleichsweise zahlreich und mit Aufträgen ausgestattet wie Bakterien und Viren in unserm Kreislauf.
d)
Versuch zu ermitteln, warum das Schweigen in einer der Sprachen Beredsamkeit in der anderen erzeugt.
e)
was geschieht, wenn ein Deutscher Wortspiele in Englisch erfindet?
f)
wohin kann es den Leser führen, wenn zum Beispiel Texte von Virginia Woolf oder James Joyce (in Cyberpoetry) korrespondierend mit einem später lebenden Autor eine Symbiose einzugehen suchen? Sind in solchen aktiven Begegnungen allgemeine, sonst gewohnte Lesevorgänge um einen Schritt erweitert: – eine Anregung dahingehend, lebende Autoren könnten sich nicht nur im gemeinsamen Schreiben austauschen und steigern, sondern eine kunstvolle Variante neuer Textgebilde konstituieren?
g)
welche Schwingungen über das gesprochene Wort hinaus entstünden bei einer Vertonung, wenn Vokalstimmen beispielsweise die deutsche Sequenz #2 symbiotisch erweitern würden?
h)
was käme bei einer Verfilmung der englischen Sequenz #1 (in Cyberpoetry) ans Licht?
Wer heute im Bereich poly-medialen Umdenkens innerhalb von Literatur und darstellender Kunst seine Arbeit neu auszurichten gedenkt, dem leiht der Computer die Werkzeuge. Versunkene Wälder / ihr Öl, Kohle und Uranium, sie sind als Energiespender im Spiel, – wir verneigen uns vor ihnen. Im Computer wird aus Licht ein Medium; es erlaubt am Schirm das Erscheinen von Schrift. In geschmeidig zu steuernder Manier nach eigener Wahl kann die Vertikale der Textsäule aus Gespeichertem vor-und zurückgescrollt werden.
Autoren, die ihrem Denken und Handeln ein neues Profil hinzufügen möchte, der kann in vorhandenes Material produktiv eingreifen. Im Angebot ruht die Möglichkeit, Texte von besonderem Interesse nicht nur auszudrucken, sondern in eigene Kompositionsabsichten einzubeziehen. Wir können Mitspieler werden in Prozessen, die, vom Autor angelegt, jetzt offen zur Veränderung, zur Weiterarbeit auffordern. Textformationen lassen sich in Sekunden umkopieren. Der am Schirm sichtbar werdende Vorgang entspricht annährend der Schnelligkeit unserer Gedankensprünge.
Wer ein Archiv von eigenem Bild-oder Videomaterial zur Verfügung hat, kann sich in die Arbeitsbereiche symbiotisch erweiternder Poesie einmischen. Menschen, die im Prozess des Verwandeltwerdens ihrer Persönlichkeit scharf beobachten, reagieren und tätig werden, denen wird das im Computer angelegte Verführungspotential sehr entgegenkommen.
INHALT
1 Horst Janssen
2 Vor Beginn des Zeichnens
3 Faltungen
4 Beizeiten
5 Zeit
6 Abschiedslos Verunsichert
7 Den Ort Verlieren
8 Beunruhigend Vernarbt
9 Fünf Finger
10 Bernsteinblond
11 Vom Lernen
12 Gegen Einfältiges
13 Entspannt entlehnt
14 Eingriff
15 Gracia
16 Seetreppe
17 Vibrierende Küste
18 Jäher Aufbruch
19 In Einer Laune
20 Sich Rechtfertigen
21 Einladendes
22 Quantum-Mythos
23 Federleicht
24 Im Abflugtunnel
25 Nein Kein Traum
26 Schreiben
27 Anteile
28 Namenscheu
29 Entlang
30 Halsabrundung
31 Bleibe Bei Gelb