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Horst Janssen
I
Während einer Begegnung 1960
2 klapperige Sessel
2 Gläser
Locke Brille Mund
listige Ohren
zum Mithören
und was zum Anfassen
er hält sie mir so hin
seine Kaltnadelplatte
mit dem scharfen Grat
der die Schwärze hergibt
am Rand von Disteln
Andrucke
nimm mal mit
kannst du kolorieren
Bildhauer
sagt er zu mir
bewohnbare Hülle
wisper ich ihm ins Glas
er die Vorlage echt
Warburgstraße
kleine Beinlandschaft
Große Freiheit rechts
dann morgens
Hafenbummel na ja
II
Über einer mit Säure gefüllten Wanne
riecht es ätzend
vertiefen weißt du
zweiter Andruck
der Kalender mahnt
am Telefon
verkaufen Brockstedt
ja ich weiß schon
vergräm nicht den Vogel
(er lässt die Katze durchs Fenster rein)
ach ruf bitte Rembrandt an
es kann sein er kratzt
mit Hokusai
Strich an Strich
wie dein Stahl-Schweißbrenner
löscht nur nicht
meinen Rotwein-Durst
III
Bleistift und Block
Janssen 1972 auf Reisen
norwegische Birken
Arme mit Achselhöhlen
bemoost
ist etwas Fliegendes
zugleich eine Zeichnung
Gefieder vom Horst
Skizze
auf Zeitungsfetzen
zur Mitte an Bettinas Ledergürtelschnalle
ein Loch der Nabel
unser Nabel
Spiel bei Nacht
im Hellerwerden
neue Spiele
Vor Beginn des Zeichnens
Während wir einem nahe vor uns stehendem Weinglas aufgetragen haben, das Auge des Betrachters bewegungslos an seinen Rand zu binden, wollen wir diesen Augenblick, der nicht mehr nur Sehen bedeutet, dahin begleiten, wo über den Rand des Glases hinaus der Blick nichts mehr einfängt. Wir erleben unser ``Einswerden`` mit dem Raum um das Gefäß: jetzt sollen die Augen als ein neu disponiertes Organ wirksam werden und eine sich selbst organisierende Teilohnmacht im Bewusstsein so lange halten,
bis es zu einem Nicht-mehr-Hinsehen gekommen ist. Hierbei wird eine Übereinkunft Wirklichkeit, währenddessen der Nicht-sehen-Wollende der Gesehene wird. In ihm bildet sich ohne willentliches Zutun ab, was vom Gegenstand selbst übertragbar ist. Innen und Außen sind nicht mehr zweierlei Räumlichkeiten. Beide zusammen vereint erlauben erst jetzt mit der Zeichnung zu beginnen
endlich umkreist der Ton am Mittelfinger die geleerte Schale
Faltungen
schwemmen im Watt zu und versinken gegeneinander. Träge heben Möwen ab.
Touristen nisten sich zur Mittagszeit ein, verhalten sich gezielter bei der Wahl
des Strandkorbs. Seit gestern Abend grüßen sich Nachbarn
Zeugen einer Mitverantwortung vertauschen ihre früheren Bibelkenntnisse gegen einen Befund, der mit Versuchen an Ratten nachzuweisen sucht, wie Schuld abzulenken wäre. Worte, die jetzt nicht heraus wollen, klemmen sich quer hinter die Nagezähne. Wie von einem Unbekannten gegen unbekannt klagend erscheinen sie in den Spätnachrichten
Gelb-grün steht da für im Wind aufloderndes Gras. Künstler verwenden es gezielt in Installationen. Im abgedunkelten Raum Vermoderungsprozesse: so oder nicht so Gase
zu erzeugen wird der bleibende Eindruck beim Besucher
Verkauft werden Zeichenstudien, Linien
Schattierungen, Verwischtes
vom Modell bleibt so viel mehr als Stehen und Liegen
Unangreifbares auf einem Fetzen Papier
Schlafwagengäste
nah den Gleisen
unter sich
Beizeiten
eingebacken
in geschlitzter Semmel
erscheint die Zeit
mehlblass ihre Tochter
früh um vier Uhr
vor und hinter ihrer Schürze
Monate mit Zeit verlobt
die Schüchterne
des Meeres Zeit ein Aal seine Strudel
husch hört man die Maus sie weiß dies ist ihre Stunde
da kommt auf weicher Sohle zeitvergessen emsiger Nager
der Teig geknetet seine Wölbung zeitlos Teil der Nacht
Blick durch die Brezel Salz und Zeit ein Glitzern
von der Torte tropfen Sahnewünsche zeitverloren
eine 90 trocknet im Durchschneiden keine Zeit verlieren
knisternes Seidenpapier solange sich Trostzeit verpacken lässt
Anruf vom Hospital wo bleibe denn das Süße
Herbstzeitlose der Sog am Nackenhaar im Wind der Abflughalle
Zeitzirkel wie Kaninchen um den Bau auszuwählendes Gepäck
Soldaten treffen außer sich die Zeit mit Kugeln
Versprengte was hätte sich unter dünner Decke nicht glätten lassen
die blanke Kerbe mit der Zeit verwachsen hölzern in der Wiege
das Spinnrad surrt jetzt läuft die Zeit dem Schaf davon
Wärme im Dunkel ihrer Wolle den Winter verbringen
offnen Mundes Zeit am Wasser leichter Kleider Fäden
Zeitmaß: vom noch nicht Geschriebenen aus geht gleich links eine Treppe
hinunter in den Strahlenschutzkeller. Jede Stufe hört auf ihr eigenes Federn,
Besuch tagträumt im Garten. Beim Vermessen der Bedenkzeit stolpern über
lange Ohren fremde Worte. Wir radeln vorbei an Markt, Kirche und Rathaus
zur Raketen-Abschussbasis.
Den Finger am Knopf meditiert dort
im Lotussitz
die Zielplanungs-Beauftragte
7 6 5 4 3 2 1 zero
juiced
Schere nein
Morphium bitte
kinderlos
masturbieren sieh mal
Schmetterling
die Hälften seiner Zeit
entfaltet vor dem Wind
(In den Gedichten und anderen Texten dieser Sammlung führen miteinander verschlungene poetische Prozesse zu paradox erscheinenden Konvergenzen.)
Zeit
Umblättern - fragt das Kind und deutet auf das Monatsende eines Tierkalenders. Es will nicht das Datum lesen, es gleitet lieber vom Symbol der Schlange zum Oktopus, hält seine fünf Finger an die Saugnäpfe und jauchzt
feuerrot ist seine Lieblingsfarbe, vor allem am Abendhimmel, wenn sich die sinkende Sonne erst in einen Ballon und dann in einen Pilz verwandelt. Nur noch eine Minute und die Zeit verpflanzt ihn grün schimmernd unter den Horizont
dieser Herbstmonat möchte sich in mir besser kennen lernen. Wird es jetzt früher
dunkel werden, sind die schwimmenden Schatten schon Vorboten sich verkürzender Tageszeit?
es sieht ganz so aus, als sei meine Tochter älter geworden. Vielleicht nur um Tage oder Wochen? Aber wie verrechnen sich Tausende von Jahren in ihrem Blut - wie alt ist ein Mensch in der sich verlängernden Gegenwart vor dem Schwarz unseres Vergessens
ich taste über ihre blauen Schläfenadern. Fließen hier Euphrat und Tigris zusammen, empfängt ihr Hirn aus dem Fluss der Nachrichten die einzigartige, nur für sie bestimmte Botschaft?
ein Zwinkern, und was die Augen währenddessen nicht sehen, das versuchen die Ohren zu hören. Ein ja oder nein aus fremden Lippen
wie eine Kette aus Zahlen bestimmt sich der Tag: wir zählen vierundzwanzig Glieder,
in ihren Zwischenräumen kein Zuhause
nichts gegen die fiebrige Erwartung einer Minute, sagt sie, nein, nichts gegen diese anschwellende Hitze; aber wie lasse ich meine Hände wissen, dass die Stunde des Begreifens noch vor mir liegt
dass die Zeit immer auch Abstand bedeutet, daran mahnt der schnelle Sekundenzeiger.
Ich halte einen Finger vor seine Umdrehungsrichtung, doch er zieht an mir vorbei, nimmt mich mit ins Unbekannte
wir weisen auf einen Stein am Strand, warten und beobachten, wer ihn zuerst aufheben wird. Der Brandung entwendet, wem darf er dienen – wird er Flint am Pfeil oder klug verkettet, als Schmuck einer Brust anvertraut
Stein, vielleicht wirst du als zu schwer empfunden – vom Taucher möchten wir lernen Perlen in Muscheln zu suchen
eingeschlafener Wind
im Oval des Möweneis
schon wieder Flügel
Abschiedslos verunsichert
wir sprechen leise
von Saturn
bei Steingut und Salbe
die Hohlräume unserer Ringe
von gegenüber gelb
Sonnenfeld
Halmsammlerinnen
im Rechen die Geduld
auszustreuender Samen
fremde Verabredung
im Weichen früher Seetiere
Schwebendes weit gereist
keine Schonung in Armen
bevor es dunkelt Wiederfinden
unserer Anfangssilben
unvermutet stetig Teich
wagt sich in ihr
ein Abschwimmen
am Kiel der Gerüchte
dem Entferntesten voraus
Bissmuster dulden
wie Spätspuren im Watt
Flutdurst
offnen Mundes
perlender Zahnbögen
Neugier und Monat
mehrschichtiger als erahnt
und fingerlos
zuunterst
im Zelt der Haare
immer mehr Scheitel
wandlungsfähig das Erhellende in Kupferdraht
Den Ort Verlieren
beim Wimpernschlag
augenlos
Augen öffnendes Licht
wie es sich noch nicht kennt
in Minuten
flacher Schatten
am Ohr der Perle
daran entgleitet
niemandes Opak
Fälle in sich dicht
die Stille auf Häuten
wir ergänzen die Stelle
vom ausfallenden Haar
im Pelzbesatz
dann weder bleibt es
brauchbar selbstständig
noch deutlich Grabbeigabe
oder Schlaf wie im Schaf
vor einem Zurück zur Wiese
unaufdringlich warm
geschwächt
Poren und Randzone
beziehungslos neugierig
Stunden im Verleih
Kuckuck
zwischen einer und beider
Klüfte im Traum
Beunruhigend Vernarbt
Nabel und und ihr Schmuck
eine arabische 96
durchsichtig verwässert
in beider Augen Wunsch
schon Mündiges
vom Kuss
lange in Wölbungen
erstickter Stimme
abbröckelndes Gewand
noch Säule und Meersalz
früher Thrakerin
zirpen ohne Richtwert
knietief im Versteck
die Grille
Junischwüle
die Pflaume wird blau
wir können zum Kern sprechen
Fünf Finger
federnder Eile
aus der Nacht
Näherkommender
in Tanzkleidern
um die Uhr
an unbelauschten Zeigern
schon der Ruf des Hahns
und Harm in Bögen
höherer Augenbrauen
warum hier näher
an der Kreuzung
diese Naht begreifen
und Stunden auf ihr Rad
gespannt Gefieder nennen
Lichtspur um Mücken
selbst im Alphabet
verdrängter Kinderspiele
Narben
Weicheres
Milchstraße
ihr roter Mund im Dunkel
nah dem Gästehaus
Bernsteinblond
die Melkerin beim Käse
nahe Mäusezähnen
der schmale Schlitz
der Wache im Katzenauge
am Tau der Achse
zwischen Fächern der Rose
Rosamunde
aufblätternd
die klebrige Sekunde
zwischen Uhrzeigern
Ort verlieren
Ort schwebend heißen
in Seifenblasen
kein Zugang
die Nacht ein Raum
wässerigen Mondlichts
Hülle der Wahl
vielleicht genügt es
Satin zu falten
in Sommers Reichweite
jemandes Trotz weichend
Schilf violett innen
außen rot vom Regenbogen
am eintauchenden Ruder
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